Interview mit Oliver Müller

 

Wer sind Sie?
Mein Name ist Oliver Müller. Ich lebe und arbeite in Bern

Was ist Azimut?
Azimut ist mein Label, unter dem ich seit 2009 vor allem Möbel entworfen und hergestellt habe. Ausser Möbel waren es auch schon andere Dinge im Bereich des Produktedesigns. Seit 2021 konzentriere ich mich ganz auf das Gestalten und Herstellen der individuellen Brillenfassungen aus Wasserbüffelhorn. Mitarbeiter habe ich keine, alles kommt aus meiner Hand.

Was bedeutet der Name „Azimut“?
Das “Azimut” gibt in der Navigation die Richtung an, in der ein Stern liegt.

Was hat das mit Möbeldesign zu tun?
Ursprünglich bedeutet das Wort Richtung oder Weg. In der Gestaltung meiner Möbel lege ich auch einen Weg zurück. Mit jedem Entwurf zeige ich eine Richtung auf, wohin es gehen könnte. Eine gute Navigation ist auch hier sehr wichtig, damit man das Wesentliche nicht aus den Augen verliert.

Was ist denn für Sie wesentlich – “form follows function” vielleicht?
Der im Design und in der Architektur viel zitierte Satz „form follows function“ widerspiegelt den Geist des Bauhaus – einer Akademie, die zum Ziel hatte, die Kunst mit dem Handwerk zu verbinden.
Mir gefällt Qualitätshandwerk und darüber hinaus etwas Kunstvolles zu schaffen entspricht meiner Leidenschaft. Die Reduktion auf die Funktion ist etwas Schönes, weil sie eben auf das Wesentliche oder Eigentliche abzielt. Dinge, die so gestaltet sind, haben immer einen besonderen Reiz des Puren und Reinen. Sie werden in der Regel auch auf Anhieb von jedem verstanden, da umgekehrt von ihrer Form auf die Funktion geschlossen werden kann.
Schaut man in die Natur, erkennt man bei allem was gewachsen ist, diesen Leitsatz. Die Natur hat mit evolutionären Prozessen für eine Funktion oder einen Zweck optimierte Formen hervorgebracht und sie tut dies auf eine wundervolle, schöne Art und Weise.
„Form follows function“ ist ein gutes Grundrezept und ich runde das Gericht gerne mit ein paar Einflüssen wie etwa einer Prise Dynamik, Kontrast oder statischer Kühnheit ab, die in keinem Widerspruch zum eben Beschriebenen stehen.
Patisserie zum Beispiel schmeckt auch besser, wenn sie gut aussieht, oder?

Gibt es noch mehr, was Ihnen beim Gestalten der Möbel wichtig ist?
Neben der Funktion, die immer über allem stehen muss, lote ich gerne die verbleibenden Spielräume aus. Ich verleihe meinen Möbeln gerne einen skulpturalen Wert. Nicht selten werden die Möbel zu einem Raumobjekt, das den Raum massgeblich „aufmöbelt“. Es ist erstaunlich, wie ein einzelnes Möbel gegebenenfalls das Raumgefühl und die Befindlichkeit der Menschen darin verändern kann. Ich bin überzeugt, es spielt eine Rolle womit wir uns umgeben. Alles hat einen Einfluss auf den Menschen. Das gilt natürlich nicht nur für die Möbel.

Wie sieht Ihr typischer Arbeitsprozess aus?
Am Anfang steht ein Treffen mit dem Kunden, normalerweise in dem Raum, wo etwas entstehen soll. Der Kunde erzählt mir von seinen Bedürfnissen. Manchmal sind es konkrete Vorstellungen, dann wird es eher eine herkömmliche Schreinerarbeit. Meist aber engagiert er mich, weil er möchte, dass ich ihm eine ungewöhnliche, kunstvolle Lösung erarbeite, die über eine konventionelle Schreinerarbeit hinaus geht, denn hier liegen meine Stärken.

Wie geht es dann weiter?
Durch die Parameter des Kunden lasse ich mich inspirieren – die Entwurfsphase beginnt.
Manchmal ist es eine gewünschte Funktion oder es sind nur kleine Details aus dem Gespräch, die einen Kondensationskeim bilden, an dem etwas entstehen kann. Ich prüfe erste Ansätze mit der Handskizze. Manche Ideen verlaufen sich und werden verworfen, neue Ideen entstehen durch die vertiefte Auseinandersetzung und der Gestaltungsprozess nimmt seinen Lauf. Am Ende steht eine Version, die sowohl optisch ansprechend, gleichermassen funktional und ganz wichtig und oft unterschätzt, ausführbar ist. Das Berücksichtigen der Herstellbarkeit ist ein sehr wesentlicher Faktor im Entwurfsprozess. Ohne sie ist der Entwurf nahezu wertlos. Sucht man die ungewöhnliche Erscheinung und erforscht neue Materialien, verlässt man oft auch übliche Herstellungsweisen und Konstruktionsarten, was meist zu statischen Experimenten führt, oder es müssen spezifische Werkstatteinrichtungen erstellt werden, um die Herstellung überhaupt zu realisieren. Hier ist es ein enormer Vorteil, dass in meinem Fall der Entwerfer zugleich der Hersteller ist und in seinem Entwurf der Umsetzbarkeit bereits Rechnung getragen hat.

Gibt es ein Beispiel, wo die Umsetzung problematisch oder ungewöhnlich war?
Ich suche mit jedem meiner Möbel in der einen oder anderen Form Neuland zu betreten. Besonders erwähnenswert ist vielleicht der Fall der Postablagen, die im Portfolio dieser Webseite zu sehen sind. Sie bestehen strukturell im Wesentlichen aus einem dicken, gebogenen Blech. Da meine Werkstatt vor allem für die Holzverarbeitung ausgelegt ist, wollte ich das Biegen dieser Bleche für einmal in die Hände des blechverarbeitenden Gewerbes legen. Am Ende hatte ich 20 Anfragen in die ganze Schweiz verschickt. Niemand wollte in der Lage sein, solch ein Stück herzustellen. Einer meinte gar, das könne ich gleich vergessen, dazu wäre nämlich niemand in der Lage. Solch eine Aussage hat mich dann herausgefordert: Ich fühlte, dass es nicht unmöglich war, auch wenn dieses Blech fast geschlossen gebogen wird. Ich habe dann tatsächlich einen Biegeapparat entwerfen und bauen können, mit dessen Hilfe ich die  Postablagen erfolgreich herstellen konnte, wozu kein Profi landesweit in der Lage sein wollte. Solche Hürden zu nehmen ist natürlich sehr aufwändig, unrentabel, wenn auch eine tolle Herausforderung und hinterher natürlich äusserst befriedigend.

Wie erfährt der Auftraggeber dann von Ihrem Entwurf?
Schlussendlich zeichne ich ein virtuelles Modell im Computer, welches ich als Film exportiere und so dem Kunden präsentiere. So kann er sein Möbel im virtuellen Raum erleben, was ihm eine genaue Vorstellung davon ermöglicht. An diesem Punkt können allenfalls noch Änderungen vollzogen werden und es erfolgt dann das Einverständnis des Kunden, begleitet von einer Anzahlung in Höhe von 60%, dies führt zu einem Werkvertrag und gibt mir die Möglichkeit  Materialien einzukaufen und mit der Herstellung zu beginnen.
Die Restzahlung erfolgt nach der Lieferung und der Zufriedenheit des Auftraggebers.